Gender-Tag in Stäfa: Bürgermeister stellt sich gegen Andreas Glarner (2023)

Wie sich ein Liberaler alter Schule in den neuen Kulturkampf verstrickte und dabei klare Worte fand.

Giorgio Scherrer (Text), Annick Ramp (Foto)

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Gender-Tag in Stäfa: Bürgermeister stellt sich gegen Andreas Glarner (1)

Bürgermeister Christian Haltner war auf dem Parkplatz, als er davon erfuhr. Er hatte gerade einen Kollegen besucht und dann vor dem Auto die „Blick“-App geöffnet. „Und dann waren plötzlich Stäfs Schule und ihr Sextag überall.“

Haltner, 67, Generalstabsoberst, ein altmodischer FDP-Politiker, befand sich mitten in einem neuen Kulturkampf. SVP-Nationalräte kritisierten seine Gemeinde scharf. Der Internetmob drohte mit destruktiven Aktionen. Schulmitarbeiter forderten am Telefon den Tod. Ein Landessturm, und mittendrin: die Gemeinde Haltner Stäf am Zürichsee.

In der Armee habe er gelernt, jedes Szenario zu berechnen, sagt Haltner. „Aber ich hätte nie gedacht, dass es hier zu einem solchen Angriff kommen würde.“

Vor allem, wenn man sich den Grund für die Aufregung ansieht: den Tag der Gleichstellung der Geschlechter an Ihrer örtlichen High School. Jugendliche werden über Geschlechterrollen, Gleichberechtigung und das Recht, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, aufgeklärt. Es ist eine Veranstaltung, die seit zehn Jahren ohne Kontroversen stattfindet.

An diesem Tag verschickte die Schule eine Erinnerung, die im Internet kursierte und schließlich von SVP-Nationalrat Andreas Glarner zusammen mit der Telefonnummer des Sozialarbeiters der Schule veröffentlicht wurde.

„Politische Aufmerksamkeit der Gier“

„Es gab einen Funken und plötzlich ging die Kabine in Flammen auf“, erinnert sich Haltner. Auf Anraten der Polizei sagte die Schule den Gender Day ab. Laut Haltner könnte das Ereignis selbst passiert sein. Es gab jedoch ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Schüler auf dem Schulweg. Denn auf Telegram gab es Aufrufe der Gegner des Gender Days, sie dort abzufangen und von der Teilnahme abzuhalten.

„Politiker wie Glarner wissen genau, welche Klientel sie uns entgegenwerfen“, sagt Haltner. „Und doch hat sich hier noch nie einer unserer SVP-Kritiker gemeldet und eine direkte Debatte abseits der Öffentlichkeit gefordert.“

Haltner stellt daher klar: „Es war keine berechtigte Kritik.“ Es ging um Sensationsgier und übermäßige Gier nach politischen Interessen.“

Tatsächlich entstand die Kontroverse um den Gender Day nicht in einem politischen Vakuum. Anfang des Jahres gab die SVP bekannt, dass der Kampf gegen „Gender-Terrorismus und erwachten Wahnsinn“ das Thema der nationalen Kampagne sei. Glarner selbst machte unmittelbar nach der Stäfa-Kritik auf den Vorfall in Zürich aufmerksam. Auch auf„Es ist Zeit für eine Geschichte“- Kinderlesekurs mit Drag Queens - Es kam zu wilden Drohungen und Polizeischutz wurde notwendig.

Für Haltner ist Gender Management eine sehr kluge Wahlkampftaktik, die von amerikanischen Vorbildern inspiriert ist. „Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass die Leute sich darüber Sorgen machen“, sagt er. „Schließlich haben wir auch in der Schweiz echte Probleme: Inflation, Klima, Rentensicherheit.“ Dennoch scheint das Thema bei manchen einen Nerv getroffen zu haben.

Geschlechterfragen

Im Gegensatz zu den Polarparteien links und rechts fällt es Haltners Partei FDP schwer, in Geschlechterfragen eine klare Position zu finden. Bürgermeister Stäfner musste es so schnell wie möglich tun. Er, ein Gildenmitglied und Offizier, der niemals einen Geburtsstern benutzen würde, findet sich plötzlich mitten in einem, wie er es nennt, „politischen Taifun“ wieder. Nämlich als Verteidiger des Tages der Geburt.

„Wir haben schnell gemerkt, dass das Thema nicht nur etwas mit der Schule zu tun hat, sondern dass es zu einem politischen Thema wird“, sagt er. „Und wir als Gemeinschaft konnten nicht länger schweigen.“

Und so gaben Haltner, zwei Vizepräsidenten und ein Stadtbeamter zwei Tage nach dem abgesagten Pride Day eine Erklärung ab, deren Klarheit fast noch nie von einem Stadtunternehmer verfasst wurde.

Gender-Tag in Stäfa: Bürgermeister stellt sich gegen Andreas Glarner (2)

Über „Köder“ und „verwerfliche Polemik“wird darin erwähnt, von „Verzerrung des gesellschaftlichen Diskurses“. Der SVP-Nationalrat Glarner wurde als „schlechter Demokrat“ bezeichnet, weil er eine Veranstaltung, die sich am Lehrplan des 21. orientierte, diskreditierte und sich damit den Segen der Wähler sicherte.

„Wir sind in einer demagogischen Phase“, sagt Haltner. „Man muss klare Worte wählen und gegensteuern. Man muss den Leuten sagen, was los ist.

„Einfach nicht umherwandern“

Und in diesem Sinne war Haltner die richtige Person, um einem solchen Sturm zu trotzen. Ausgebildet beim Militär für den Einsatz bei Naturkatastrophen, als ehemaliger Credit-Suisse-Manager mit Managementerfahrung und Medienkompetenz – und als FDP-Politiker mit langjähriger Erfahrung und ausgezeichnetem Kontaktnetzwerk.

Hochrangige Politiker – wie Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) – zeigten sich schnell solidarisch mit Stäf. Ein gut platziertes Interview im „Blick“ sorgte für viel positives Feedback in der Bevölkerung.

Dies umso mehr, als auch Haltner seine Fehler eingestand. Sie sagt, das Transgender-Symbol auf der Schulerinnerung und der Geburtsstern in der Begrüßung seien falsch gewesen. Denn keiner von ihnen entspricht den kommunalen Richtlinien.

Als ihnen die politische Dimension der Angelegenheit klar wurde, waren Haltner und seine Kollegen damit beschäftigt, die Gemeinde- und Schulbeamten zu mobilisieren, um sich mit der Schulbehörde, dem Bildungsministerium und der Polizei abzustimmen.

Haltner sagt: „Es ist wie beim Militär: Befehlen bedeutet nicht nur reden.“ Man muss auch Truppen hinter sich haben.“ Nur so könne man einen Angriff wirksam abwehren.

Und was hält er von der Strategie, rechte Positionen zu imitieren und auf den nationalen Zug aufzuspringen? Er rate seiner Partei, der FDP, dazu nicht, sagt Haltner. „Nur das Original profitiert davon. Wir müssen uns auf unsere eigenen Probleme konzentrieren und dürfen nicht aufgeben.“

Ein ungewöhnlicher Gegencharakter

Mit dieser Haltung ist Christian Haltner für die einen zum Feindbild, für die anderen zum Ideal eines bodenständigen Kommunalpolitikers geworden, der bundespolitische Agitatoren in die Schranken weist. Der Bürgermeister mit Siegel und Stäf-Wappen am Revers, der für sein Polizeiamt kein eigenes Büro hat, ist zur Gegenfigur geworden – eine Art Anti-Glarner.

Als Mensch ist Haltner höflich und unkompliziert, ein Freund von Volksweisheiten und geschliffenen Sprüchen. („Ein Politiker“, sagt er, „muss wie eine Straßenlaterne sein: Sie muss oben leuchten, und alle unten müssen darauf pinkeln können.“) Aber er ist auch jemand, der es mit Können und Gutem weit gebracht hat Netzwerke.

Haltners Vater war Tischler – und auch FDP-Mitglied. Haltner blickte den Chef seines Vaters an, den Schirmherrn der alten Schule. Er wurde zunächst Grundschullehrer, dann Schulleiter, dann Banker und schließlich Chef von 200 Mitarbeitern bei der Credit Suisse.

Der Freund des Polizisten, der FDP-Veteran Martin Vollenwyder, half ihm beim Betreten der Bank. Als er 2014 zum Bürgermeister von Stäfa gewählt wurde, empfahl ihn sogar der Stäfner SP-Schwergewichtler Daniel Jositsch zur Wahl, obwohl seine Partei eine andere unterstützte.

Als Politiker kämpft er für den Erhalt von Automaschinen, verteidigt den Steuersatz im Regierungspräsidium oder eröffnet eine Sauna. Und wenn der Turnverein sein 150-jähriges Jubiläum feiert, verkleiden sie sich als Turnlegende Jack Günthard und unterrichten Übungen im Stil der Siebzigerjahre.

Mit seiner Bankkarriere und seinen militärischen Verbindungen, seinen breiten Allianzen und seiner pragmatischen Herangehensweise könnte Haltner für manche wie ein Politiker aus einer anderen Zeit wirken. Und dennoch scheint es ihm dank dieses Hintergrunds gelungen zu sein, den Shitstorm der Internetmafia zu überstehen.

„Evidenzbasierte Politik führt zum Erfolg, nicht zu Kontroversen“, sagt er. Er rät jedoch, dass sich jede noch so kleine Gemeinde auf solche Ereignisse in Stäfa vorbereitet. Entwickeln Sie den Krisenbegriff und absolvieren Sie ein solches Medientraining. Und dann, wenn es darum geht, sich nicht einschüchtern zu lassen.

„Angriff“, sagt Haltner, „gehört letztlich zu jeder Verteidigung.“

Gender-Tag in Stäfa: Bürgermeister stellt sich gegen Andreas Glarner (3)

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Author: Rob Wisoky

Last Updated: 25/09/2023

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